Werbung und Wahnsinn: Wieviel Pixel braucht der Mensch?
Dass ein Mehr an Pixeln nicht unbedingt ein deutliches Plus an Bildqualität bedeutet, wie es uns der unbeirrte Werbetenor der Kamera-Hersteller weiß machen will, dürfte jedem klar sein, der von seiner alten 6-Megapixel-Kamera auf ein schickes neues 12-Megapixel-Modell wechselte. Doch wieviel Pixel braucht der Mensch nun eigentlich?
Lange galt die Auflösung als das entscheidende Kauf- und Qualitätskriterium einer digitalen Kompaktkamera. Inzwischen werden jedoch so viele Pixel auf die Sensoren gequetscht, dass sich selbst bei niedrigen ISO-Empfindlichkeiten unerwünschtes Bildrauschen einstellt und die Bildqualität sinkt, während die Datenmenge pro Foto unaufhörlich anwächst. Das beeinträchtigt nicht nur die Kamera-Performance, sondern auch den Komfort bei der Handhabung der Bilder.
Landläufige Meinung: Je größer das gedruckte Foto, desto mehr Pixel braucht man. Falsch! Für ein in optimalem Abstand betrachtetes Foto, egal ob es sich um ein Poster oder um ein Passbild handelt, werden nicht mehr als 6 Megapixel benötigt, damit es uneingeschränkt scharf wirkt. Schauen wir zum Untermauern dieser provokanten These einmal in die technischen Daten unseres Sehapparats: Das menschliche Auge kann Details differenzieren, die mehr als eine Winkelminute (etwa 0,017°) voneinander entfernt sind. Das heißt, in einem Meter Abstand erkennt ein normal Scharfsichtiger (Visus = 1, Sehkraft 100%) gerade noch einen Krümel von 0,3 mm Durchmesser (tan 0,017° × 1 m).
Gesichtsfeld des linken Auges: Nur innerhalb des kleinen gelben Kreises sehen wir wirklich scharf. Die Rot- und Blau-Empfindlichkeit endet außerhalb der gleichfarbigen Linien, der Blinde Fleck ist durch den schwarzen Kreis gekennzeichnet. Quelle:Wikipedia | |
Das Auge als Maßstab?
Der normale Visus ist altersabhängig und liegt bei einem 20-jährigen Menschen bei 1,0 bis 1,6, bei einem 80-jährigen bei 0,6 bis 1,0. Er wird übrigens nur im Bereich der Sehgrube ("Gelber Fleck") mit der höchsten Dichte an Rezeptoren erreicht, schon 5° außerhalb dieser Achse nimmt er rapide auf Werte unter 0,5 ab. Sie können sich leicht davon überzeugen, indem Sie das nebenstehende Bild fixieren und versuchen, hier weiter zu lesen – das klappt nicht. Dass unser aller Auge eigentlich ein "Flaschenboden" mit extrem starkem Randabfall ist, stört uns nur deshalb nicht, weil es dort, wo wir gerade hingucken, ja immer scharf ist.
Mit einem (schon recht hoch gegriffenen) durchschnittlichen Visus von 0,5 über das gesamte Gesichtsfeld (etwa 180° in der Horizontalen und 100° in der Vertikalen) können wir Ihnen hier eine ungefähre Megapixel-Angabe für Ihre Klüsen liefern: maximal 15 Megapixel, durch das abgerundete Gesichtsfeld (siehe Bild) eher weniger. Die Gesamtauflösung des Auges ist in einer Betrachtung über die optimale Kamera-Auflösung freilich nebensächlich, da man sich ein Foto selten halb um den Kopf wickelt.
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Randbedingung
Eine nicht vernachlässigbare Randbedingung für die 6-Megapixel-These liefert eher der unscheinbare Passus "optimaler Betrachtungsabstand". Der sollte bei üblicher Foto-Handhabung nicht geringer als die Bilddiagonale werden – sonst kann das Auge das Bild nicht mehr als Ganzes erfassen und verliert sich in Details, vergleichbar mit einem Kinobesucher in der ersten Reihe.
Bei einem 60 × 90-Poster beträgt der optimale Betrachtungsabstand etwas über 1 m. Da wie oben angeführt ein Scharfsichtiger hierbei Details von minimal 0,3 mm differenzieren kann, muss die Bildauflösung also 2000 × 3000 Pixel = 6 Megapixel betragen (600 mm / 0,3 mm × 900 mm / 0,3 mm). Dank Strahlensatz[2] gilt die Korrelation für jede Bildgröße: Bei Bildern zum Herumzeigen ist der Betrachtungsabstand kleiner, bei Postern größer, die benötigte Auflösung bleibt mithin immer gleich.
Aus einer Entfernung von 6 Metern erkennt man die einzelnen, etwa 2 mm außeinanderliegenden Dots dieses Großdrucks nicht mehr, das Bild wirkt scharf. | |
Übrigens nimmt die Nah-Einstellgrenze (Akkommodationsnahpunkt[3]) des Auges stark mit dem Alter zu: Während sie bei Jugendlichen noch bei 10 bis 12 cm liegt, steigt sie mit Mitte Vierzig fast sprungartig auf Werte um 30 bis 50 cm an. Reife Probanden sind also weniger geneigt, bei einem A4-Ausdruck den optimalen Betrachtungsabstand zu unterschreiten – und benötigen in letzter Konsequenz auch weniger Megapixel.
Trotzdem lässt sich verallgemeinern: Je größer ein Foto "abgezogen" wurde, desto größer ist die Gefahr, dass der Betrachter den optimalen Abstand nicht wahrt – allein aus diesem Grund lautet die Empfehlung, bei Bildern in Poster-Größe (jenseits von A4) eine Pixel-Reserve einzurechnen; ein Faktor von 1,5 bei der Auflösung sollte in jedem Fall ausreichend sein. Damit erschlägt man dann auch den Schärfeverlust, der in jeder Digitalkamera mit CCD- oder CMOS-Sensor durch die kamerainterne Helligkeits-Interpolation aus den Einzelfarb-Pixeln entsteht – dazu mehr auf der nächsten Seite.
Echte und bunte Pixel
Von dem, was der Hersteller an Megapixel-Zahl auf die Kamera druckt, kann man getrost ein Drittel abziehen, um auf eine "echte" Megapixel-Zahl mit randscharfen Bildpunkten zu kommen. Grund ist die bei fast allen neuzeitlichen Digitalkameras verwendete Farbfilter-Matrix (Bayer-Pattern), die den eigentlich farbenblinden Sensorzellen erst ein farbiges Sehen ermöglicht: Jedes Pixel einer Digitalkamera sieht nicht die schärferelevante Helligkeit, sondern nur den durch das Filter vorgegebenen Primärfarbanteil in rot, grün oder blau. Die Helligkeitsinformation gewinnt erst der Kamera-Prozessor in einem aufwendigen Interpolationsvorgang, der benachbarte Pixel grundsätzlich mit einbeziehen muss. Von dieser Problematik ausgenommen sind lediglich Kameras mit Foveon-Sensor, bei dem jedes einzelne Pixel das volle Farbspektrum wahrnehmen kann – hier kann sich der Kamera-Prozessor eine qualitätsmindernde Interpolation ersparen.
Bei der Helligkeits-Interpolation der Bayer-Filtermatrix müssen mehrere Pixel (helles Quadrat) zusammengefasst werden, wodurch Details verloren gehen. | |
Je nachdem, wie geschickt sich der Interpolationsalgorithmus anstellt, beträgt der "Visus" eines üblichen Digitalkamera-Sensors zwischen 0,7 und 0,9, wobei Spitzenwerte oft mit eigentümlichen Bildstörungen (Artefakte) einhergehen, verstärkt durch die meist vorhandene Nachschärfung seitens der Kamera-Firmware. So kann es beispielsweise sein, dass blaue Flächen im Motiv unruhige, "angefressene" Kanten aufweisen, grüne dagegen glatt umrandet erscheinen. Ein CCD-Visus von rund 0,7 lässt sich nur durch mindestens 30% mehr Pixel ausgleichen – mit dem oben erwähnten Auflösungs-Faktor von 1,5 liegt man also immer auf der sicheren Seite. Anders herum bedeutet dies, dass eine 6-Megapixel-Kamera nur rund 4 Millionen "echte", knackscharfe Pixel liefern kann (sofern nicht schon vorher das Objektiv der Auflösung Grenzen setzt).
Doch auch damit kann der Kunde eigentlich schon zufrieden sein: Betrachtet man das Bild vollflächig auf einem 20-zölligen Monitor, braucht man nicht mehr als 1600 × 1200 Bildpunkte, also knapp zwei Megapixel. Bei Ausbelichtungen auf Fotopapier sieht es etwas anders aus: Gängige Fotobelichter arbeiten mit 250 bis 300 ppi (Pixel per Inch), gleichbedeutend mit 100 bis 120 Pixel pro Zentimeter Kantenlänge. Für einen 10 × 15-Abzug benötigt man also nur 1000 × 1500 Pixel (1,5 Megapixel), mehr gibt das Belichtungsverfahren nicht her (und mehr ist bei einem Betrachtungsabstand von 36 cm wegen der begrenzten Auflösung des Auges auch gar nicht nötig). Ein ganzseitiger A4-Druck in bestmöglicher Auflösung benötigt drucktechnisch demzufolge nicht mehr als 6 "echte" Megapixel, äquivalent mit 7 bis 9 Kamera-Megapixeln.
Gegen 9-Megapixel-Kameras wäre im Prinzip nichts einzuwenden – wenn die Sensorfläche proportional mit der Pixelzahl steigen würde. Das tut sie aber nicht, denn jeder Quadratmillimeter mehr Sensorfläche kostet den Herstellern Geld: Lieber quetscht man werbewirksam immer mehr Pixel auf die gleiche (oder gar kleinere) Fläche. Da aber das Bildrauschen mit der Pixeldichte korreliert, steigt die Bildqualität oberhalb von 6 Megapixeln auf einem 1/1,8"-Sensor – wenn überhaupt – nur noch marginal. Das ist auch der Grund, warum anerkannte Fachleute 6 Megapixel als Optimum für die Kompaktkamera-Auflösung[4] ansehen.
Vergrößerungen
Die Foto-Industrie und freundliche Verkäufer argumentieren gern mit der "Ausschnittsvergößerung", die ja bei 12 und mehr Megapixeln kein Problem sein soll. Mit dem gleichen Argument wurden vor fünf Jahren schon die Käufer von 5-MP-Modellen geködert, die 3 oder 4 Megapixel als für ihren Einsatzzweck ausreichend erachteten. Nichts Neues also.
Tatsache ist: Theoretisch kann man die Diagonale des Bildausschnitts bei einer 12-MP-Kamera bei gleicher Ausschnitts-Auflösung um ein Drittel kleiner ansetzen als bei einer 6-MP-Kamera – kein umwerfender Gewinn, der zudem oft genug von dem stärkeren Rauschen der 12-MP-Sensoren zunichte gemacht wird. Starke Ausschnittsvergrößerungen sehen deshalb bei 6- bis 12-Megapixel-Kompaktkameras in etwa gleich bescheiden aus. Letztlich ist eine Ausschnittsvergrößerung nichts anderes als der zu Recht schlecht beleumundete "Digitalzoom". Dann lieber gleich eine Kamera mit entsprechendem Brennweitenbereich kaufen oder die Aufnahmeposition so wählen[5], dass man hinterher nichts ausschneiden muss.
Fazit
Bei unseren Messungen an neuen Kompaktkamera-Modellen fällt schon bei 10-MP-Kameras auf, dass die Bildqualität (die ja mitnichten nur von der Auflösung bestimmt wird) stagniert oder sich gar wieder gegenüber älteren Modellen verschlechtert. Wer nun glaubt, im Laden einfach zu einer billigen 6-MP-Knipse greifen zu können, wird allerdings enttäuscht: Ernstzunehmende 6-MP-Kameras sind heute nicht mehr zu finden. Die am Markt befindlichen 6- und 7-MP-Digicams chinesischer Provenienz arbeiten allesamt mit winzigen bis winzigsten Sensoren (1/2,5", 1/3"), vernünftig dimensionierte (1/1,7"- und 1/1,8"-CCD) Markengeräte kursieren praktisch nur noch auf dem Gebrauchtmarkt.
Die Größen-Bezeichnung in Form eines Bruches (wie etwa 1/1,7 oder 1/2,5 Zoll) verweist übrigens auf die eigentümliche Rechnungsweise bei frühen Kamera-Bildaufnehmerröhren (Vidikons), deren Glas-Durchmesser in Zoll oder den im Angelsächsischen üblichen Zoll-Brüchen (fragen Sie mal Ihren Klempner nach der Größe des Eckventils unter Ihrem Waschbecken!) bemessen wurde. Konstruktionsbedingt tasteten Röhren von einem Zoll (25,4 mm) Durchmesser nur Bilder mit einer Diagonalen von rund 16 mm ab. Als Grundlage zur Bildkreisberechnung legten die Bildsensor-Hersteller einen Wert von 16,8 mm für den Ein-Zoll-Chip mit einem Seitenverhältnis von 4:3 fest, damit ergeben sich 22,5 mm für ein 4/3-Zoll-CCD oder 11 mm für einen 1/1,7-Zoll-Sensor. Hier die gängigen Digitalkamera-Sensoren im Größenvergleich: Die Kreise entsprechen der üblichen Größenangabe in Zoll, die inneren Rechtecke der jeweiligen tatsächlichen Sensorfläche in Originalgröße.
Sensorgrößen im Vergleich: Je größer die Zahl unter (oder besser: rechts neben) dem Bruchstrich, desto kleiner der Sensor. | |
Bei Spiegelreflexkameras gelten zum Glück andere Regeln: Hier ist die Sensorfläche um ein Vielfaches größer als bei Kompaktmodellen, so dass zumindest vom Rauschverhalten her 12 oder 14 Megapixel relativ unkritisch sind. Ob die verwendeten Objektive aber ebenfalls so hoch auflösen, steht auf einem anderen Blatt.
Carsten Meyer
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[1] http://www.heise.de/foto/Werbung-und-Wahnsinn-Wieviel-Pixel-braucht-der-Mensch--/artikel/108906/1
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Strahlensatz
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Akkommodation_%28Auge%29
[4] http://www.6mpixel.org
[5] http://www.heise.de/foto/Workshop-Besser-fotografieren--/artikel/105394/0
[6] http://www.heise.de/foto/foren/S-Artikel-Foren/forum-134011/list/
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